Arbeitsblock II in der 1D

und was ein Pups damit zu tun hat

Die 30-minütige Frühstückspause vergeht wie im Flug. Auf dem Schulhof spielen die Kinder Ball, obwohl es inzwischen leicht zu nieseln begonnen hat. Andere halten sich im Foyer auf, und einige sehe ich mit den Gummibärchentüten für ihre Klassen. Doch etwas fällt mir auf. „Das sind doch keine 400 Kinder,“ wundere ich mich laut. Da steht plötzlich Ahmet neben mir und grinst. „Na, was denkst du?“ fragt er, als hätte er meine Gedanken gelesen.

„Ich frage mich, wo alle Kinder sind. Das können doch nicht 400 sein,“ antworte ich, immer noch etwas perplex. „Ach, das verteilt sich,“ erklärt Ahmet. „Einige sind noch in der Bücherei, bei Nieselwetter hat die Holzwerkstatt geöffnet, und ein paar sind sicher auch im Klassenraum geblieben.“ „Wie, im Klassenraum?“ Ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit, wie akribisch darauf geachtet wurde, dass alle Kinder in jeder Pause das Schulgebäude verließen. Und an die Regenpausen, in denen alle in ihrer Klasse bleiben mussten. Diese Regeln scheinen hier nicht zu gelten.

„Weißt du was,“ schlägt Ahmet vor, „ich könnte dich in eine erste Klasse bringen. Die sind immer besonders spannend, weil die Kleinen gerade anfangen, sich in der Schule zurechtzufinden. Frau Lenz ist die Lehrerin, und sie freut sich bestimmt, wenn du mal reinschaust.“

Das klingt verlockend. Eine erste Klasse, das ist wirklich der Anfang allen Lernens – und ich bin neugierig, wie das hier gestaltet wird. „Das klingt toll, Ahmet! Dann lass uns losgehen.“

Zusammen machen wir uns auf den Weg. Ich blicke mich nach den bunten Linien auf dem Boden um, die ich bereits heute früh entdeckt hatte, aber Ahmet lenkt meinen Blick auf Wegweiser an der Wand. „Die ersten Klassen sind im Obergeschoss, im ruhigen Bereich,“ erklärt er. Die Beschilderung ist klar und freundlich gestaltet, fast wie in einem Kindermuseum – es scheint alles darauf ausgerichtet zu sein, dass sich selbst die Jüngsten hier gut zurechtfinden.

Wir steigen die Treppe hinauf, und ich merke, wie die Geräuschkulisse langsam abnimmt. Der ruhige Bereich im Obergeschoss scheint perfekt für die Kleinen, die noch dabei sind, sich an den Schulalltag zu gewöhnen. Die Vorfreude auf das, was mich in der ersten Klasse erwartet, wächst mit jedem Schritt.

Die meisten Kinder haben sich bereits in der Klasse eingefunden, doch die Glastür steht noch offen. Vorsichtig trete ich ein und bleibe am Eingang stehen, um den Raum auf mich wirken zu lassen. Frau Lenz – oder Nicole, wie sie sich später vorstellen wird – ist gerade in ein Gespräch mit einem kleinen Jungen vertieft. Er scheint eine Frage zu haben, die sie geduldig beantwortet. Nachdem er zufrieden auf seinen Platz zurückgekehrt ist, bemerkt sie mich und lächelt freundlich.

„Hereinspaziert,“ sagt sie mit einer einladenden Geste. „Willst du den zweiten Block bei uns verbringen?“ Ihre Stimme ist warm und herzlich, fast so, als ob wir uns schon lange kennen würden. „Darf ich du sagen? Ich bin übrigens Nicole.“

Die Herzlichkeit, die den Raum erfüllt, ist spürbar. Es ist, als ob die Kinder hier nicht nur Schüler sind, sondern Teil einer kleinen Gemeinschaft, in der sich jeder wohlfühlen darf. Die Atmosphäre ist entspannt und gleichzeitig voller Vorfreude auf das, was der Unterricht bringen wird. Ich nicke und trete näher, gespannt darauf, was mich in dieser ersten Klasse erwartet.

Im Raum stehen unterschiedlich hohe, dreieckige Tische, die an einem Bein eine Rolle haben. Schon nach kurzem Beobachten erkenne ich, dass diese Tische flexibel sind – sie lassen sich im Handumdrehen zu Einzel- oder Gruppentischen umbauen. Neugierig setze ich mich in einer der Ecken auf den Boden, um das Geschehen zu verfolgen.

Ein kleines Mädchen kommt zu mir und zeigt auf einen freien Tisch. „Du kannst dich hierher setzen,“ sagt sie mit einem Lächeln. Ich bemerke, dass einige Tische ein rotes Kreuz aus dünnem Isolierband haben, während andere leer sind. Ich frage mich, was es damit auf sich hat.

In diesem Moment tritt Frau Lenz zu mir und erklärt leise: „Die Tische mit den roten Kreuzen sind für die Kinder, die gerne immer denselben Platz haben. Einige von ihnen brauchen die Sicherheit eines festen Platzes, während andere es genießen, sich jeden Tag einen neuen Platz im Raum zu suchen.“

Frau Lenz hebt dann eine Klangschale und lässt sie sanft erklingen. Ein warmer Ton breitet sich im Raum aus, während sie langsam von fünf rückwärts zählt. Manche Kinder nutzen die Zeit, um noch schnell etwas zu erledigen, während andere sofort an ihren Platz huschen. Bei eins sitzen tatsächlich alle an ihren Tischen.

„Schön, dass ihr wieder da seid,“ begrüßt Frau Lenz die Klasse mit einem Lächeln. „Hattet ihr eine gute Pause?“ Ein Mädchen meldet sich und strahlt über das ganze Gesicht. „Ich hatte im Oktober Geburtstag und gehe nachher rum, um die Gummibärchen zu verteilen,“ sagt sie stolz. Die anderen Kinder strahlen zurück, offenbar freuen sie sich schon auf die süße Überraschung.

Frau Lenz lächelt und richtet sich an die Klasse. „Ich möchte euch jetzt einladen, mit mir zusammen Wörter zu schreiben. Hast du dein Schreibheft vor dir liegen und einen Stift?“

Die meisten Kinder nicken, nur vereinzelt stehen Kinder auf und holen aus einem Stehsammler ihr Heft hervor. „Wer möchte mit wem arbeiten?“, fährt Frau Lenz fort. „Ich bin gespannt.“

Sie legt den Finger auf den Mund, und plötzlich passiert etwas Faszinierendes: Einige Kinder überkreuzen ihre Arme vor dem Gesicht, als wollten sie sich unsichtbar machen. Andere stehen ruhig auf, ohne ein Wort zu sagen, und beginnen, ihre Tische zu verschieben, um sie mit denen anderer Kinder zusammenzuschieben. Kein Gedränge, kein Geschubse – alles verläuft in völliger Ruhe und Harmonie. Innerhalb von höchstens einer Minute haben sich vier Gruppentische gebildet, während fünf Kinder alleine an ihren Tischen sitzen bleiben.

„Super gemacht, und leise wie die Mäuschen im Laub,“ lobt Frau Lenz die Kinder mit einem warmen Lächeln. Dann gibt sie Anweisungen: „Ein Kind aus jeder Gruppe und die Solos kommen bitte zu mir.“

Die Kinder folgen ihrer Aufforderung und versammeln sich um einen Tisch, auf dem Frau Lenz bereits etwa zehn Bilder ausgelegt hat. „Schaut euch diese Bilder genau an,“ sagt sie und deutet auf die Motive. Auf einem Bild sind Stempel zu sehen, auf einem anderen bunte Buntstifte. Ein weiteres zeigt weißes Papier, und daneben liegt ein Bild von linierten Blättern. Es gibt auch Bilder von Memory-Plättchen, Buchstabenperlen, Knete und anderen kreativen Materialien.

Die Kinder studieren die Bilder neugierig. Man sieht ihnen an, dass sie bereits überlegen, welche Materialien sie für das bevorstehende Schreiben am liebsten verwenden würden. Die Stimmung im Raum ist gespannt, aber zugleich auch voller Vorfreude auf das gemeinsame Arbeiten.

Nachdem die Kinder ihre Wahl getroffen und die Bildkarten unter sich aufgeteilt haben, gehen sie zielsicher zum Regal. Erst jetzt bemerke ich die kleinen Kästen, die mit denselben Bildkarten beschriftet sind. Jedes Kind nimmt sich sein Kästchen und kehrt an seinen Platz zurück.

Ein Gruppentisch mit drei Jungs hat noch eine freie Ecke. Leise frage ich, ob ich mich dazu setzen darf. „Klar,“ nicken sie, und ich nehme Platz. Zu meiner Überraschung haben sie sich Pfeifenputzer ausgesucht. Nicole, die Lehrerin, formuliert den Auftrag: „Wir suchen Dinge aus der Natur, die irgendwo ein ‚U‘ haben.“

„Äh, wie jetzt?“ frage ich mich innerlich und fühle mich leicht überfordert. Doch die Jungs zögern keine Sekunde und legen sofort los. „Die Sanduhr läuft!“ verkündet einer von ihnen, und ich spüre die konzentrierte Spannung am Tisch.

„Uhu,“ sagt einer. „Unwetter,“ ruft ein anderer. „Ufer, Ungeheuer,“ wirft der dritte ein. Jeder von ihnen hat inzwischen einen Pfeifenputzer in der Hand und formt daraus ein großes, geschwungenes „U“. Plötzlich flüstert einer von ihnen schelmisch: „Pups!“ und für einen kurzen Moment brechen alle in schallendes Gelächter aus. Die Jungs sehen zufrieden aus, aber ihre Augen wandern immer wieder zur Sanduhr, die fast durchgelaufen ist.

Cem, der Junge, der die Pfeifenputzer geholt hat, hebt triumphierend sein perfekt geformtes „U“ in die Luft. Nach und nach melden sich auch die anderen Kinder an den Tischen. Kaum fünf Minuten sind vergangen, als die Sanduhr endgültig abläuft.

„So, die Zeit ist um,“ verkündet Frau Lenz. „Cem, ich habe deine Hand gesehen und zwischendurch gehört, dass ihr ein besonders lustiges Wort gefunden habt. Magst du es uns verraten?“

Natürlich will Cem das. „Pups!“ ruft er laut. „Der kommt in der Natur vor – und manchmal auch drinnen!“

Das ganze Klassenzimmer lacht, und selbst Frau Lenz kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die Atmosphäre im Raum ist gelöst, und ich muss zugeben, dass die Kreativität und der Humor der Kinder wirklich ansteckend sind.

„Welche Buchstaben brauchen wir noch, um das Wort ‚Pups‘ zu schreiben?“ fragt Nicole, und sofort schnellen die Finger in die Höhe.

„Ein großes P am Anfang, weil es ‚der Pups‘ heißt,“ erklärt ein Junge mit einem wissenden Grinsen. „Und nach dem U kommt noch ein P und ein S.“

Nicole nickt anerkennend und schreibt die Buchstaben an die Tafel. „Denkt daran: Wenn euch das Wort gefällt, dann schreibt es in euer Heft. Mindestens fünf Worte sollten am Ende dort stehen.“

Die Kinder haben inzwischen ihre Schreibhefte vor sich liegen und beginnen eifrig, das Wort „Pups“ aufzuschreiben. Ich muss schmunzeln. Ein attraktives Wort, denke ich bei mir. Kein Wunder, dass es so viele Fans hat.

Ein Mädchen an einem Einzeltisch ist als Nächstes dran. „Gurke,“ sagt sie stolz und hält ein Memorie-Kärtchen hoch. „Weil ich die voll gerne esse.“

Die ganze Klasse überlegt gemeinsam, welche Buchstaben im Wort „Gurke“ vorkommen, und Nicole schreibt es an die Tafel. Manche Kinder schreiben es ab, andere nicht. „Ich mag eh keine Gurken,“ murmelt ein Junge. „Ich warte auf ein anderes Wort.“

So geht es weiter. Auf die gleiche Weise schaffen es die Worte „Uhu“, „Unfall“ – weil die auch in der Natur passieren, zum Beispiel wenn man im Wald umknickt – und „Kuckuck“ an die Tafel. Bei „Mauer“ bemerken die Kinder, dass das U gar nicht so deutlich zu hören ist, aber es gehört trotzdem dazu. Dann meldet sich ein kleines Mädchen und schlägt „ungern“ vor. „Weil ich ungern in der Natur spazieren gehe, sondern lieber Fußball spiele,“ erklärt sie mit Nachdruck.

Fußball schafft es nicht auf die Liste, aber „ungern“ schon. Die Tafel füllt sich langsam mit Worten, die für die Kinder eine besondere Bedeutung haben.

So wird heute Lesen und Schreiben gelernt – ganz ohne eine malende Monas, die eh keiner kennt, denke ich. Hier sind es die Kinder, die entscheiden, welche Worte für sie wichtig sind, und sie lernen mit einer Begeisterung, die ansteckend ist.

 

Die Klangschale erklingt sanft, und Nicole beginnt, von fünf rückwärts zu zählen. Die Kinder der 1D räumen ihre Hefte schnell in die Stehsammler im Regal und stehen gespannt hinter ihren Stühlen. Bei „Eins“ sind alle bereit für den nächsten Schritt.

„Jetzt gehen wir in die Bücherei,“ verkündet Nicole mit einem Lächeln. „Dort treffen wir unsere Patenklasse, die 3D.“

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