Frau Zahl lässt den Kaffeevollautomaten einen Cappuccino zubereiten. „Tolle Maschine für ein Lehrerzimmer“, entgleitet es mir. Frau Zahl lacht. „Einer unserer Väter ist Vertreter für Kaffeevollautomaten und hat uns dieses Ausstellungsstück auf dem letzten Schulfest überreicht. Manchmal muss man einfach Glück haben.“
Unterm Himmelszelt scheint mir ein Ort zu sein, an dem das Glück in vielen Ecken zu Besuch war. Frau Zahl setzt sich zu mir. „Wie gefällt es Ihnen bei uns?“ fragt sie, während sie ihren Cappuccino umrührt.
„Ich kann es irgendwie nicht richtig glauben, dass das hier eine Schule ist, in der nach Lehrplan unterrichtet wird und die, wie alle Grundschulen Kinder auf die weiterführende Schule vorbereitet. Mein erster Eindruck ist, dass hier so viel Leichtigkeit herrscht – das scheint mir nicht der Ort zu sein, an dem ‚der Ernst des Lebens‘ beginnt!“
Wieder lacht Frau Zahl, dieses Mal herzlich. „Bei uns erhöht auch der sprichwörtliche Schlag auf den Hinterkopf nicht das Denkvermögen. Wir gestalten Schule als Lebensort und gehen davon aus, dass Kinder solange neugierig und engagiert lernen, bis dann später andere ihnen vorschreiben, was sie zu interessieren hat.“
Über diesen Satz muss ich einen Moment nachdenken. Wie habe ich als Kind gelernt? Meine Gedanken wandern zurück in die Zeit, als ich selbst ein Kind war. Ich erinnere mich an unser Detektivbüro im Gartenweg, versteckt unter einer Hecke. Dort saßen wir oft, beobachteten die Nachbarschaft und träumten davon, ein großes Verbrechen aufzuklären. Ich wollte unbedingt schreiben lernen, um meiner Detektivkollegin Sonja Nachrichten in unserem geheimen Notizbuch hinterlassen zu können.
Das Büchlein hatte ich zu meinem sechsten Geburtstag bekommen. Es war etwas ganz Besonderes, mit einem kleinen Schloss und zwei winzigen Schlüsseln. Einen trug ich stolz um den Hals, den anderen hütete Sonja wie einen Schatz. In der Schule lernte ich dann in den frühen Achtzigern die ersten Wörter zu lesen. „Mona malt“ war einer der ersten Sätze, die ich entziffern konnte. Doch leider kannte ich keine Mona, und Malen fand ich auch nicht besonders spannend. Ich wollte schreiben lernen, um Geheimnisse zu teilen und Abenteuer zu erleben.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen komme ich zurück in die Gegenwart. „Ich verstehe, was Sie meinen“, sage ich zu Frau Zahl. „Das Lernen wird zu einer echten Leidenschaft, wenn es aus einem eigenen Bedürfnis heraus entsteht – so wie bei mir damals mit dem Schreiben.“
Frau Zahl nickt zustimmend. „Genau das ist unser Ansatz. Hier ‚unter dem Himmelszelt‘ möchten wir den Kindern die Freiheit geben, ihre Neugier zu leben und ihre Interessen zu verfolgen. Denn nur so können sie wirklich und nachhaltig lernen.“
In der folgenden Stunde erzählt mir Frau Zahl von den Veränderungen, die die Schule im Laufe der Jahre durchlaufen hat. Als sie vor 23 Jahren hier begann, war die Schule eine reine Halbtagsschule. Damals war die Struktur ideal auf die Bedürfnisse vieler Familien abgestimmt: Die meisten Mütter arbeiteten nur halbtags oder waren ganz zu Hause, und die Kinder erwartete ein warmes Mittagessen. Der Alltag der Schüler war klar geregelt – Mittagessen, Hausaufgaben und anschließend Zeit für Spiel oder Sport im Verein.
Doch die Zeiten änderten sich. Vor 21 Jahren wandte sich eine Gruppe engagierter Mütter an Frau Zahl. Sie wollten einen Verein gründen, um eine erweiterte Betreuung innerhalb der Schule zu ermöglichen. Die Nachfrage war groß: Einige Eltern benötigten einen Platz, der nicht nur ein Mittagessen, sondern auch Unterstützung bei den Hausaufgaben bot. Dieser Schritt war eine Antwort auf die veränderten Familienstrukturen und Arbeitszeiten.
Die Kinder, die damals von diesem neuen Betreuungsangebot profitierten, sind heute Mitte zwanzig und haben sich beruflich etabliert. Einer von ihnen ist sogar als Lehrer an die Schule zurückgekehrt – Marius ist im Klassenteam der 2b – ein beeindruckendes Zeugnis für die langfristigen Auswirkungen des Fördervereins und der früheren Betreuung.
Doch die Entwicklungen machten nicht Halt. In den letzten Jahren brachte der gesetzliche Anspruch auf Ganztagsbetreuung erhebliche Herausforderungen mit sich. Der Förderverein, der lange Zeit eine wertvolle Unterstützung war, konnte den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht werden und wurde schließlich aufgelöst. Die Schule und die Gemeinde mussten neue Wege finden, um den gestiegenen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Frau Zahl schließt ihre Erzählung mit einem nachdenklichen Blick auf die Veränderungen, die nicht nur die Schule, sondern auch die gesamte Bildungslandschaft beeinflusst haben. Es ist eine Geschichte von Anpassung und Weiterentwicklung, die zeigt, wie dynamisch und flexibel sich das Bildungssystem über die Jahre verändert hat.
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