Der Schulplan mit den Blitzen – ist das der Plan, den Fiona mir heute Morgen gegeben hat? Ich hole ihn heraus und falte ihn auseinander. Der Plan sieht sehr professionell aus und trägt dennoch eindeutig die Handschrift der Kinder. Es ist klar, dass hier nicht nur ein durchdachtes System implementiert wurde, sondern auch ein Gefühl für die Bedürfnisse und die Realität der Schülerinnen und Schüler und auch der Erwachsenen integriert wurde.
Auf einer der Seiten finde ich im ersten Drittel des Plans so etwas wie einen Stundenplan
7:15 Uhr Öffnung der Schule für das Vorbereitungsteam
7:30 Uhr Guten Morgen und herzlich willkommen
8:10 Uhr Start in den Tag für Alle unterm Himmelszelt – Inforadio
8:15 Uhr Start im Klassenraum
10:00 Uhr Frühstück und Pause (siehe Bistroflächen)
10:30 Uhr Im Klassenraum
11:55 Uhr Freiraum
13:00 Uhr SCHULENDE FÜR ALLE HALBTAGSKINDER (Klasse 1 und 2)
13:00 Uhr Jede*r an seinem Ort
14:30 Uhr SCHULENDE FÜR ALLE
Ab 14:30 Kinder unterm Himmelszelt: kunterbuntes Treiben mit freien Angeboten, Werkstätten und AGs bis maximal 17:00 Uhr
„Aha, da habe ich ihn gefunden – den klassischen Unterricht, versteckt in den ‚Arbeitsphasen‘!“, triumphierend schaue ich zur Schulleiterin.
Frau Zahl lächelt, lenkt uns zu einer der Sitzecken, nimmt Platz und lehnt sich leicht zurück. „So einfach ist es nicht,“ beginnt sie und ihre Augen strahlen eine Mischung aus Stolz und Überzeugung aus. „Klassischen Unterricht, wie Sie und ich ihn aus unserer Schulzeit kennen, gibt es bei uns nicht. Aber ja, in den Arbeitsphasen ist tatsächlich der Lehrplan versteckt – allerdings ist er so geschickt eingebunden, dass man ihn kaum als solchen erkennt.“
Ihre Stimme wird wärmer, während sie fortfährt: „Alle unterm Himmelszelt arbeiten für rund drei Monate an einem gemeinsamen Projekt. Im Moment dreht sich alles um das Thema ‚Natur und Umwelt‘. In der Basisphase erhalten die Kinder über den Tag verteilt immer wieder kleine Wissenshappen – wir nennen sie ‚Inputs‘. So entstehen ständig Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen des Schulalltags und dem Projektthema. Es ist, als würde das Thema überall präsent sein und in den Alltag der Kinder hineinwachsen.“
„In der Bücherei,“ fährt sie fort, „liegen Bücher über Berge, Tiere und Pflanzen aus, die die Kinder nach Belieben erkunden können. Es geht nicht nur um das bloße Lesen, sondern um das Entdecken und Verstehen. Jede Klasse macht mindestens einen Ausflug in die Natur, um das, was sie lernen, hautnah zu erleben. Die Foto-AG begleitet in diesem Projekt gerade die Zweitklässler, die Kresse auf den Fensterbänken gepflanzt haben. Sie dokumentiert täglich das Wachstum der Pflanzen und stellen diese Fotos an Ort und Stelle aus, damit jeder die Fortschritte sehen kann – es macht die Veränderungen greifbar und sichtbar.“
Ihre Erklärungen wecken in mir Bilder von lebendigem, interaktivem Lernen. „Am Kreativtisch,“ erzählt sie weiter, „basteln die Kinder mit Materialien aus der Natur. Es ist faszinierend zu sehen, wie sie Blätter, Zweige und Steine in Kunstwerke verwandeln, während sie gleichzeitig lernen, wie diese Materialien in der Natur vorkommen und warum sie so wichtig sind. In der Werkstatt experimentieren die Kinder mit verschiedenen Holzarten – und lernen dabei, dass Holz nicht einfach Holz ist. Einige Hölzer sind weich und leicht zu bearbeiten, andere hingegen hart und widerstandsfähig. Diese Erfahrungen verankern das Wissen tief im Gedächtnis.“
„Die Viertklässler,“ fügt sie hinzu, „haben sogar eine Wetterstation gebaut und führen ihre eigenen Wetterbeobachtungen durch. Sie sammeln Daten, analysieren sie und ziehen ihre Schlüsse – dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern um das Verständnis der Zusammenhänge in der Natur. Im Deutschunterricht lesen wir Geschichten, die in der Natur spielen. Sie fördern nicht nur das Leseverständnis, sondern auch die Fantasie und das Einfühlungsvermögen der Kinder. Und im Matheunterricht? Da wird es dann richtig spannend – die Kinder berechnen, wie viele Blätter ein Baum hat, wenn ein Ast etwa 250 Blätter trägt und der Baum 30 Äste hat. Mathematik wird hier nicht abstrakt, sondern greifbar und konkret.“
Ich nicke langsam, während sie weiterspricht: „Draußen im Foyer steht ein großes Glas, randvoll gefüllt mit Eicheln. Die Kinder schätzen, wie viele Eicheln darin sind – ein Wettbewerb, bei dem nicht nur mathematisches Denken, sondern auch der Spaß am Mitmachen gefördert wird. Und dann gibt es noch ein Quiz über die Tiere im Wald, das die Kinder in den Partnerklassen zusammen lösen. Sie lernen voneinander und miteinander, entdecken Neues und festigen ihr Wissen.“
Frau Zahl hält kurz inne, bevor sie abschließend sagt: „Unser Ziel ist es, das Lernen in die verschiedensten Aktivitäten zu integrieren, sodass die Kinder auf vielfältige Weise mit dem Thema in Berührung kommen. Es ist kein isolierter Lernstoff, den man auswendig lernt und dann wieder vergisst. Stattdessen erleben die Kinder das Wissen – sie leben es.“
OK, das habe ich verstanden. Alle Lerninhalte sind auf ein Thema abgestimmt, Verknüpfungen werden hergestellt und der Unterricht von den Lehrkräften vorbereitet. Und wie geht es dann weiter? Frau Zahl scheint mir meine Gedanken anzusehen.
„In den letzten vier Wochen des Projekts,“ erzählt Frau Zahl weiter, „gehen die Kinder ihren eigenen Forschungsfragen nach. Das ist die Phase, in der ihre Neugier und ihr Entdeckerdrang so richtig zum Tragen kommen. Gerade eben überlegen ein paar Zweitklässler, wie sie herausfinden könnten, wie viele verschiedene Pflanzen in unserem Stadtwald wachsen. Sie planen, Blätter und Blumen zu sammeln, bestimmen und dann eine Karte mit den Fundorten zu erstellen.“
Ich kann mir die Szene lebhaft vorstellen: Kinder, die mit Lupen und Notizbüchern bewaffnet den Wald durchstreifen, sich austauschen und gemeinsam herausfinden, was die Natur zu bieten hat.
„Eine andere Gruppe,“ fährt sie fort, „möchte eine Infotafel über die heimischen Tierarten gestalten. Sie sind begeistert von der Idee, etwas zu schaffen, das nicht nur ihren Mitschülern, sondern auch den Besuchern des Waldes nützlich sein könnte. Sie recherchieren, zeichnen Tiere und schreiben kurze Texte, die dann auf der Tafel verewigt werden sollen.“
„Und dann gibt es noch eine Gruppe Mädchen,“ ergänzt sie lächelnd, „die sich gerade intensiv mit dem Thema Tierbabys beschäftigt. Sie haben Bücher gewälzt, Bilder gesammelt und planen, ihre Erkenntnisse in einer kleinen Ausstellung zu präsentieren. Diese Phase des Projekts ist besonders wichtig, weil die Kinder lernen, eigene Interessen zu verfolgen und ihre Ideen umzusetzen.“
„Die Vielfalt der Projekte ist wirklich beeindruckend,“ sage ich nachdenklich. „Es ist faszinierend zu sehen, wie die Kinder ihre Ideen verwirklichen und dabei auf so kreative Weise lernen.“
Frau Zahl nickt zustimmend. „Ja, es ist inspirierend zu beobachten, wie sie ihre Talente entfalten. Jeder findet seinen eigenen Weg, sich mit den Themen auseinanderzusetzen und seine Interessen zu entdecken.“
Ich lächle bei dem Gedanken an meine eigene Schulzeit. „Als Kind hätte ich mich wahrscheinlich mit der Frage beschäftigt, wie viele Schritte es bis zu einem dieser Gipfelkreuze sind, auf den Bergen, die wir im Urlaub erklommen haben,“ sage ich schmunzelnd. „Vielleicht hätte ich so eine bessere Argumentation für einen Tag am See gefunden! Mathe hat mir immer Spaß gemacht, aber die endlosen Päckchenrechen-Aufgaben fand ich langweilig, wenn ich das Prinzip doch längst verstanden hatte. Aber das ist wohl eine ganz andere Geschichte.“
Frau Zahl erwidert mein Lächeln. „Es ist interessant, wie sich Interessen und Lernmethoden im Laufe der Zeit entwickeln. Und hier haben die Kinder die Freiheit, auf ihre eigene Weise zu lernen und zu wachsen – das ist das Schöne an unserem Ansatz.“
Frau Zahl fügt hinzu: „Und natürlich wird hier geschrieben und gerechnet, aber das passiert überall und oft ganz nebenbei. Noch wichtiger ist es uns, dass die Kinder Selbstwirksamkeit erleben, Teamwork lernen und ihre sozialen Kompetenzen stärken. Wenn die Kinder ihre eigenen Ideen entwickeln und in Projekten verwirklichen, erfahren sie, dass ihre Beiträge wertvoll sind und sie wirklich etwas bewirken können."
„Dabei lernen sie auch, wie man zusammenarbeitet, sich gegenseitig unterstützt und Konflikte löst. Ob sie gemeinsam eine Infotafel gestalten, ein Matheproblem lösen oder eine Geschichte schreiben – all diese Erfahrungen tragen dazu bei, dass sie sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen, in der jeder zählt und jeder seine Stärken einbringen kann.“
Frau Zahl lächelt. „Am Ende sind es genau diese Fähigkeiten, die sie später im Leben brauchen werden. Selbstvertrauen, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und die Freude am Lernen – das sind die Dinge, die wir unseren Kindern mit auf den Weg geben möchten.“
„Den ersten Teil jedes Projekts,“ erklärt Frau Zahl weiter, „bereiten die Erwachsenen gemeinsam vor. Dabei arbeiten sie in Jahrgangsteams zusammen und überlegen sich Aufgaben und erstellen Materialien, die auf den jeweiligen Jahrgang abgestimmt sind. Es ist eine Zeit, in der gezielt Wissen vermittelt wird, aber immer mit einem klaren Bezug zum aktuellen Thema.“
„Im zweiten Teil,“ fährt sie fort, „übernehmen die Kinder dann zunehmend die Regie, und die Erwachsenen werden zu reinen Lernbegleitern. Sie unterstützen die Kinder, stehen für Fragen zur Verfügung und helfen bei der Umsetzung der Ideen, aber die Richtung und die Schwerpunkte geben die Kinder selbst vor. So lernen sie, Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen und eigene Interessen zu verfolgen, während wir sie dabei begleiten und unterstützen.“
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